VIII.I. Andacht – ein sich veränderndes Konzept
Theistische Religionen – darunter das traditionelle Christentum – legen großen Wert auf Andachtshandlungen, die der formalisierte Ausdruck der Verehrung einer Gottheit, von Demut, Unterwerfung, Gebet (Zwiesprache mit der Gottheit), Lobpreisung und Danksagung für erhaltene Wohltaten sind. (Ältere Konzepte der Andacht beinhalten auch Opfer – Menschen oder Tiere – und Zeremonien, um eine rachsüchtige oder eifersüchtige Gottheit zu besänftigen. Doch die Konzepte der Andacht haben sich verändert und ältere Formen, die früher als unentbehrlich betrachtet wurden, würden heutzutage als gesetzeswidrig angesehen werden. Die Vorstellungen von Andacht sind in der heutigen Zeit sowohl in den etablierten Kirchen als auch in neuen Bewegungen starken Veränderungen unterworfen.) Das traditionelle Konzept der Andacht wird allgemein mit dem Postulieren einer Gottheit (oder mehrerer Gottheiten) in Verbindung gebracht oder mit einer Persönlichkeit, die Gegenstand ehrfürchtiger Haltungen und Handlungen ist. Diese Definition der Andacht, die auch kürzlich in England ausgesprochenen Gerichtsurteilen entspricht, lehnt sich eng an das Modell der historischen jüdisch-christlich-islamischen Praktiken an. Wie empirische Beweise jedoch zeigen, kommt dieses Konzept der Andacht nicht in allen Religionen vor, und wenn es auftritt, dann weist es erhebliche Variationen auf, von denen einige in nachfolgenden Beispielen gezeigt werden.
VIII.II. Verschiedene Formen der Andacht – der Theravada-Buddhismus
Erstens: Der Theravada-Buddhismus – in seiner Reinform – sowie einige andere Religionen postulieren keine höchste Gottheit, sondern ein oberstes Gesetz oder Prinzip, das weder Verehrung, Lob oder Anbetung durch die Gläubigen erfordert noch davon abhängig ist. Es wird allgemein anerkannt, dass eine Gottheit keine Conditio sine qua non von Religion darstellt, sodass – sofern dieses Konzept beibehalten werden soll – eine Definition von Andacht erforderlich ist, die über die in der christlichen Tradition vorgegebene hinausgeht.
VIII.III. Verschiedene Formen der Andacht – der Nichiren-Buddhismus
Zweitens: Es gibt religiöse Bewegungen, zum Beispiel den Nichiren-Buddhismus, welche die Existenz höherer Wesen bestreiten, dafür aber die Verehrung eines Objekts fordern. Die Soka-Gakkai-Buddhisten, eine Bewegung mit ca. 15 Millionen Anhängern, davon etwa sechstausend in England, beten beispielsweise das Gohonzon an, ein Mandala, auf dem die Symbole oder Formeln der absoluten Wahrheit geschrieben stehen. Sie erwarten sich durch ihre Verehrung des Gohonzons seine Gunst. Somit kann es ein Konzept der Andacht geben, das dem christlichen ähnlich ist, selbst wenn die Existenz eines höchsten Wesens explizit verneint wird.
VIII.IV. Verschiedene Formen der Andacht – die Quäker
Drittens: Selbst innerhalb der breit gefächerten christlichen Traditionen müssen Andacht und Demut nicht immer spezifische Verhaltensformen annehmen, wie sie in orthodoxen, römisch-katholischen oder anglikanischen Gottesdiensten beobachtbar sind, wo die Gläubigen sich verbeugen, hinknien, sich ausgestreckt auf den Boden legen, lobpreisende, danksagende, segnende Worte sprechen und sich durch ihr Flehen und Anrufen den Segen erhoffen. Innerhalb des Christentums gibt es viele Richtungen, die davon abweichende Praktiken ausüben: Die Quäker sind ein unwiderlegbares Beispiel dafür. Sie versammeln sich im Geiste der Verehrung, üben jedoch keine formalen Handlungen der Andacht aus, wie festgelegte oder gesprochene Gebete, Kirchenlieder oder Psalmen. Oft wird die gesamte Versammlung schweigsam abgehalten.
VIII.V. Verschiedene Formen der Andacht – die Christliche Wissenschaft
Viertens: Innerhalb des Christentums findet sich sowohl in den alten etablierten Kirchen als auch in einer Vielzahl relativ neu entstandener Bewegungen eine Tendenz, das Gottesbild in zunehmend abstrakteren Worten auszudrücken. Seit das Gottesbild von einigen bedeutenden modernen Theologen neu definiert wurde, wobei oft die Vorstellung von Gott als Person verneint wurde (s. o., Abschnitt IV.III.), erscheinen einigen diese älteren Konzepte der Verehrung als anachronistisch. Meinungsumfragen zeigen, dass eine stetig zunehmende Anzahl von Menschen zwar an Gott, jedoch nicht an Gott als eine Person glaubt. Sie behaupten vielmehr, Gott sei eine Kraft. In neu entstandenen religiösen Bewegungen treten manchmal Formen der „Andacht“ auf, die diese modernere, abstraktere Auffassung von Gott vertreten. Ein Beispiel dafür ist die Christliche Wissenschaft. Da diese Bewegung, die mehr als siebzig Jahre vor Scientology entstanden ist, viele Merkmale mit Scientology gemeinsam hat und seit langem als Religion anerkannt ist, wird die Auffassung von Andacht in dieser Bewegung näher untersucht. In der Christlichen Wissenschaft wird Gott als „Prinzip“, „Leben“, „Wahrheit“, „Liebe“, „Verstand“, „Geist“ und „Seele“ definiert. Diese unpersönlichen Abstraktionen erfordern keine Unterwerfungs- und Verehrungsbezeigungen, und solche Tendenzen kommen in den Gottesdiensten der Christlichen Wissenschaft nur sehr beschränkt zum Ausdruck. Die Ansichten Mary Baker Eddys (der Gründerin der Christlichen Wissenschaft) über Andacht werden im Folgenden durch einige Zitate aus ihrem Buch Science and Health with Key to the Scriptures dargestellt:
Hörbares Gebet kann niemals bewirken, was spirituelles Verstehen zu erreichen vermag ... Lange Gebete, Aberglauben und Glaubensbekenntnisse beschneiden die starken Flügel der Liebe und kleiden Religion in ein menschliches Gewand. Jede Vergegenständlichung der Andacht beeinträchtigt das geistige Wachstum des Menschen und hält ihn davon ab, seine Macht über den Irrtum zu demonstrieren.
Befolgst du: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte“? Dieses Gebot beinhaltet viel, sogar die Aufgabe aller rein materiellen Gefühle, Zuneigungen und Andachtsformen.
Die Geschichte Jesu schuf eine neue Zeitrechnung. Wir nennen sie heute die christliche Zeitrechnung. Er schuf jedoch keine ritualisierte Form der Andacht.
Es ist traurig, dass der Begriff „Gottesdienst“ heutzutage im Allgemeinen öffentliche Andacht bedeutet und nicht tägliche gute Werke.
Wir können nur dann von spiritueller Andacht sprechen, wenn wir aufhören, dies auf materieller Ebene zu tun. Spirituelle Frömmigkeit ist ein zentraler Punkt im Christentum. Andacht auf materieller Ebene ist Heidentum. Jüdische und andere Rituale sind nur ein Schatten wahrer Andacht.
Die Israeliten hatten sich in ihrem Versuch, das Spirituelle zu verehren, immer auf das Materielle konzentriert. Für sie hatte Materie Substanz, der Geist war jedoch bloß Schatten. Sie wollten den Geist von einem materiellen Standpunkt aus anbeten, aber das war unmöglich. Auch wenn sie Jehova noch so sehr anriefen, es folgte kein Zeichen, dass ihre Gebete erhört wurden, denn sie verstanden Gott nicht genug, um seine heilende Kraft zeigen zu können.
Die Christlichen Wissenschafter verwenden zwar das Vaterunser in ihren Gemeindeversammlungen, es wurde jedoch in eine Anzahl von „Affirmationen“ in Übereinstimmung mit den Lehren Eddys übertragen. Stilles Gebet ist bei den Christlichen Wissenschaftern eine Affirmation von „Wahrheiten“, keine demütige Bitte. Gott ist ein „Prinzip“, das bekundet werden muss, nicht ein „Wesen“, das man besänftigen oder günstig stimmen muss. Daher unterscheidet sich die Andacht in der Christlichen Wissenschaft in Form, Stimmung und Ausdruck von der Andacht in traditionellen Kirchen.
VIII.VI. Andacht, definiert durch ihre Ziele, nicht durch ihre Formen
Zieht man die entsprechenden Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Betracht, so zeigt die obige Aufzählung der verschiedenen Andachtsformen, dass eine viel umfassendere Definition des Begriffs Andacht erforderlich ist als eine, die auf eine spezifische Tradition beschränkt und von ihr abhängig ist. Die Traditionen der Andacht in christlichen Kirchen erschöpfen keineswegs die Vielzahl an Formen, in denen Andacht auftreten kann und tatsächlich auch auftritt (nicht einmal innerhalb der christlichen Kirchen). Es muss eine Unterscheidung getroffen werden zwischen den äußerlichen Formen der Andacht (die spezifisch, lokal, regional oder national sein können) und den Zielen der Andacht, die wir als allumfassend bezeichnen können. Das Ziel der Andacht ist, zwischen dem Jünger und der übernatürlichen letzten Instanz (dem Wesen, Objekt, Gesetz, Prinzip, der Dimension, dem „Seinsgrund“ oder dem „Anliegen“) eine Wechselbeziehung herzustellen (wie auch immer diese höchste Instanz von der Glaubensgemeinschaft, welcher der Jünger angehört, gesehen wird), um das höchste Ziel der Erlösung oder Erleuchtung zu erreichen. Betont man das Ziel als das definierende Element der Andacht, so wird die kulturelle Relativität der verschiedenen Formen der Andacht deutlich. Andacht durch Hinweis auf ihre Zielrichtung zu definieren erleichtert ein Verständnis der verschiedenen Konzepte einer letzten Instanz, die von der Verehrung eines Götzen bis zu transzendentalen Gesetzen reichen. So wird ein Götze als despotische Wesenheit angebetet, die Gunst gewährt oder straft; die Verehrung einer anthropomorphen Gottheit betont eher ein Verhältnis, das auf Vertrauen, aber auch auf Abhängigkeit beruht; die Verehrung hochentwickelter Vorstellungen eines Höchsten Wesens betont weniger die Emotionalität einer Gottheit, sondern vielmehr die Suche nach emotionaler Harmonie in Übereinstimmung mit allgemeineren ethischen Prinzipien; die Verehrung einer gänzlich abstrakten äußersten Wahrheit oder Dimension oder eines absoluten Gesetzes stellt die Verbreitung von Weisheit, das Erreichen von Erleuchtung und die Verwirklichung des vollen Potentials des Menschen in den Vordergrund. All diese verschiedenen spezifischen Glaubensziele können letztendlich als Teil des Strebens des Menschen nach Erlösung angesehen werden, wie auch immer diese Erlösung selbst im einzelnen Glauben definiert sein mag. Die Verehrung der letzten Instanz, des „Seinsgrundes des Menschen“, ist, ganz gleich wie sie in der Praxis ausfallen mag, ein allgemeiner Bestandteil vom Respekt vor dem Leben und dem Interesse daran und hängt von keiner spezifisch kulturgebundenen Verhaltensform oder -norm ab.
VIII.VII. Der Niedergang der poetischen Form der Verehrung
In multi-religiösen Gesellschaften muss die Frage, was Andacht und Verehrung sind, abstrakt beantwortet werden, wenn der Vielfalt der Religionen Rechnung getragen werden soll. Die jüngsten und bestehenden Trends innerhalb der Religion sind eher auf ein abstraktes und universelleres Konzept ausgerichtet. Das gilt nicht nur für bedeutende Theologen und den Klerus, sondern kann auch in vielen neuen religiösen Bewegungen beobachtet werden. In einem von Wissenschaft und Technik geprägten Zeitalter tendiert der Mensch dazu, Gottheit oder letzte Instanz eher in Begriffen zu verstehen, die im Einklang mit wissenschaftlicher und technologischer Erfahrung stehen, selbst wenn diese neue Sprache und Konzeption im Gegensatz zur traditionell poetisch-bildlichen Darstellungsweise steht, die einst typisch für religiöse Ausdrucksformen war. Diese poetische Form der Andacht tritt nicht nur bei neuen Bewegungen immer mehr in den Hintergrund, sondern auch in den sogenannten etablierten Kirchen, was man am Beispiel der liturgischen Reformen in der römisch-katholischen Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil sieht sowie daran, dass das Book of Common Prayer in der anglikanischen Kirche durch eher prosaische, volkstümliche und umgangssprachliche Ausdrucksformen ersetzt wurde. Außerhalb dieser Kirchen, in Bewegungen, die sich nicht verpflichtet fühlen, der Tradition auch nur in rudimentärer Form Rechnung zu tragen, erfreute sich die Schaffung einer neuen Sprache und neuer liturgischer Formen sogar noch größerer Freiheit. Zu diesen Bewegungen gehört Scientology.
VIII.VIII. Kommunikation als Andacht
Scientology hat ein gänzlich abstraktes Konzept des Höchsten Wesens, nämlich das der Achten Dynamik. Scientologen versuchen, ihr Bewusstsein und ihr Verstehen zu erweitern, um alle Ebenen des Seins zu erfassen, mit dem Ziel, das Überleben des Höchsten Wesens, der Unendlichkeit, zu unterstützen und Teil davon zu werden. Scientologen verehren das Leben und erkennen Gott als den höchsten Grund des Seins an, doch diese Tatsache beinhaltet keine spezifischen Verhaltensformen, die auch nur annähernd den Handlungen ähneln, die in traditionellen christlichen Kirchen als „Andacht“ bezeichnet werden. Scientology ist eine Bewegung, in der Menschen mit verschiedenem religiösem Hintergrund Aufnahme gefunden haben. Sie betont neue Konzepte von Schöpfung, dem Sinn des Lebens und Erlösung. Die Lehren von Scientology stützen sich auf verschiedenste Traditionen großer Religionen und orientieren sich an umfassenden wissenschaftlichen Prinzipien. Es ist daher nur angemessen, dass die Theorien von Scientology abstrakt und universell ausgedrückt werden und dass die Vorstellungen von Andacht ebenfalls dieser Sichtweise folgen. Die allgemeine Position wurde wie folgt angegeben: „In der Scientology definieren wir Verehrung in Bezug auf Kommunikation. Eine wirkungsvolle Form der Verehrung wäre bei jemandem zu finden, der sich in der Lage sieht, die Distanz zum Höchsten Wesen durch Kommunikation zu überbrücken.“ [Scientology als eine Religion, Seite 30].
Scientology ist eine Bewegung, in der Menschen mit verschiedenem religiösem Hintergrund Aufnahme gefunden haben. Sie betont neue Konzepte von Schöpfung, dem Sinn des Lebens und Erlösung.
Der Kernpunkt in Scientology ist Verstehen durch Kommunikation, Kommunikation sowohl mit der eigenen Vergangenheit des Thetans als auch mit der Umwelt. In diesem Sinne können Parallelen zur Kommunikation gezogen werden, die in der christlichen Andacht stattfindet, die Kommunikation, die der Einzelne durch das Gebet mit der Gottheit und in der Eucharistie herzustellen versucht, wo er tatsächlich ein „Kommunikant“ ist, wie die traditionellen Kirchen es ausdrücken. Der Zweck ist zum Großteil derselbe – die Reinigung des Individuums, die Rehabilitierung seiner Seele als Teil eines längeren Erlösungsprozesses. Bei Scientology gibt es zwei fundamentale Formen dieser Kommunikation – Auditing und Ausbildung.
Auditing ist eine Kommunikation des Individuums mit seiner (des Thetans) Vergangenheit, wobei der Auditor und das E-Meter als Mittler dienen. Auditing ist im Grunde ein Prozess, das Individuum in bessere Beziehung mit seinem wahren und ursprünglichen Selbst zu bringen; in diesem Sinne versucht das Auditing, einen Kontakt zwischen dem Individuum und einer grundlegenden Spiritualität herzustellen.
Die Ausbildung in den Scientology Schriften ist Kommunikation mit den fundamentalen Wahrheiten und dem Seinsgrund. Das Individuum versucht, durch größeres Verstehen bessere Kommunikation mit seinem grundlegenden Selbst, mit anderen und dem gesamten Leben zu erlangen. Auch diese Handlungen weisen charakteristische Elemente der Verehrung auf, selbst wenn Aspekte wie die Anbetung (einer Gottheit), herkömmliche Besänftigungsversuche und das althergebrachte Anflehen einer Gottheit in diesem modernen Kontext als überholt betrachtet werden.
VIII.IX. Das Ziel des Überlebens in der Scientology
Der Schlüsselbegriff, der den Zweck der Andachten darlegt, die in einer Scientology Kapelle abgehalten werden, heißt „Überleben“, ein Konzept, auf das in der Scientology Literatur wiederholt besonderer Wert gelegt wird. „Überleben“ ist jedoch lediglich ein modernes Synonym für das alte religiöse Konzept der „Erlösung“; und Erlösung ist der Hauptzweck der Andacht in allen Religionen, der Herstellung einer Beziehung zwischen der mächtigen Gottheit und dem abhängigen Gläubigen, die in der Verringerung oder Beseitigung von Unglück und schlechter Erfahrung und in zunehmendem Glück resultiert und letztlich im Glück des ewigen Lebens kulminiert. Scientology beschäftigt sich mit der Erlösung des Thetans, seiner Befreiung von der Bürde der Materie, der Energie, des Raums und der Zeit, und kurzfristiger mit seiner Fähigkeit, physische Einschränkungen und die Unbill des täglichen Lebens zu überwinden. Der Thetan, also die das Menschliche transzendierende Essenz oder die Seele, existierte bereits vor dem physischen Körper und hat Aussicht, ihn zu überleben. Dieses Überleben ist letztendlich an das Überleben der Achten Dynamik, des Höchsten Wesens, gekoppelt, und an die Scientology Dienste Auditing und Ausbildung, mit dem Ziel, das Bewusstsein für diese äußerste Wahrheit zu erhöhen. Die Praktik ist daher für die Teilnehmer eine Gelegenheit, ihr Erkennen des Übernatürlichen zu erneuern und zu verstärken. In dem umfassenden Sinn, den wir oben dargelegt haben, handelt es sich dabei um eine Gelegenheit zur Andacht und Erleuchtung.
VIII.X. Auditing und Ausbildung
Die Kernaktivitäten von Scientology sind Scientology-Auditing und -Ausbildung. Dies sind die Mittel zu spiritueller Befreiung. Nur durch sie kann der Thetan – das heißt das Individuum – befreit werden und den spirituellen Zustand von „Ursache“ über das Leben und die materielle Welt erlangen. Auditing, in dem das Individuum seinen in der Vergangenheit erfahrenen Schmerz und seine Traumata konfrontiert, hilft ihm, Kontrolle über sein eigenes Leben zu erlangen, und befreit ihn von den irrationalen Impulsen des reaktiven Verstandes. Man kann daher sagen, dass sich der Preclear mit Auditing auf die spirituelle Suche nach der Erlösung begibt, deren positive Auswirkungen sich ansammeln und schließlich zu einem Zustand führen, in dem der Thetan nicht mehr durch materielle Zustände (MEST) „enturbuliert“ wird. Eine solche spirituelle Suche mit dem Ziel der Erlösung ist das höchste Anliegen aller fortgeschrittenen Religionen, auch wenn die äußeren Erscheinungsformen und die Doktrinen voneinander abweichen.
Ausbildung soll jedem Weisheit kommunizieren, der nach Erleuchtung strebt, sowie allen, die anderen bei ihrer Suche nach Erlösung helfen. Diese Prozesse implizieren die Forderung, dass das Individuum seinen vergangenen schmerzlichen Erfahrungen ins Auge sieht und die Tendenz überwindet, die Schuld an eigenem Versagen auf andere abzuwälzen. Die Ausbildung hierzu wird durch eine Reihe hierarchisch aufgebauter aufeinanderfolgender Kurse erworben, in denen der Studierende Auditing-Techniken erlernt und perfektioniert, die nach scientologischer Überzeugung bei jedem Preclear wirksam sind, wenn einmal der entsprechende Standard in der Anwendung erreicht ist. Die Ausbildung ist sehr intensiv, und jeder, der die konzentrierte Hingabe der Kursstudenten beobachten konnte (ich hatte bei meinen Besuchen der Scientology Kirche in Saint Hill Manor dazu Gelegenheit), kann nicht umhin, von der Zielstrebigkeit und dem Lerneifer, den sie an den Tag legen und die natürlich Ausdruck religiösen Engagements sind, beeindruckt zu sein.
VIII.XI. Der Irrtum von Segerdal
Scientology ist eine Religion, deren Organisation sich nicht in erster Linie entlang der traditionellen Linien einer Kirchengemeinde bewegt. Zu einer Zeit, in der die etablierten Kirchen angesichts der zeitgenössischen Kommunikationsrevolution die Beschränkungen im Hinblick auf die Struktur einer Kirchengemeinde zu erkennen beginnen und anfangen, mit anderen Mustern der Verehrung zu experimentieren, hat Scientology bereits ein neues und intensiveres Verfahren spiritueller Dienste. Die Eins-zu-Eins-Beziehung, die das Auditing verlangt, und das intensive System der Ausbildung von Auditoren bilden ein Muster der Fürsorge für den spirituellen Fortschritt jeder bestimmten Person, die – was den seelsorgerischen Aspekt betrifft – alles übertrifft, was von konventionellen Formen der Fürsorge von Kirchengemeinden angeboten werden könnte.
Im Gegensatz zum allgemeinen Verständnis muss der Status von Scientology Praktiken als Andacht in den Gerichtshöfen noch angesprochen werden. In einem frühen Fall, Regina v. Registrar-General Ex parte Segerdal and Another, 1970, war die zentrale Frage, ob ein Gebäude der Scientology Kirche, das es in East Grinstead gab, als „Ort der Begegnung für religiöse Andacht“ qualifizierte, und zwar aufgrund dessen, ob die Dienste der Kirche, die dort abgehalten werden, den Kriterien entsprachen, an denen festgehalten wurde, um zu bestimmen, was eine Andacht ausmacht. Diese Dienste bestanden aus solchen Zeremonien wie wöchentliche Predigten und anderen Versammlungen, Taufen, Beerdigungszeremonien und Hochzeitszeremonien. Obwohl in diesem Fall Lord Denning verfügte, dass diese bestimmten Dienste keine Andacht ausmachten, so ist es Tatsache, dass der Kern der religiösen Praktiken in der Scientology Kirche in den Verfahren des Auditings und der Ausbildung liegen. Für Scientologen findet Andacht bei diesen Tätigkeiten statt – als Kommunikation mit der spirituellen Realität –, nicht bei den Diensten, die vom Gerichtshof in Segerdal angesprochen wurden. Natürlich entsprechen diese Andachts-Aktivitäten vielleicht nicht dem Modell, das von den Gerichten angesprochen wurde, welche christliche Andachten im Sinn haben, denn es ist keine Ehrerbietung für eine Gottheit, sondern es ist Andacht in dem Verständnis seiner Praktizierenden.
Es ist offensichtlich aus dem, worauf bisher hingewiesen wurde (Abschnitte VIII.I.–VIII.VI.), dass keinesfalls alle Religionen ein Höchstes Wesen postulieren. Im Segerdal-Fall nahm Lord Denning Bezug auf den Buddhismus als Ausnahme vom Prinzip, für das er sich einsetzte, und sagte, dass es vielleicht andere Ausnahmen geben könnte. Warum sollte Scientology nicht eine von ihnen sein? Wenn es Ausnahmen gibt, ist dann nicht der Grundsatz selbst in Frage gestellt und die Definition, die verwendet wird, daher ungültig? Die Tendenz, trotz der Diskussion über Ausnahmen wieder die Betonung auf ein Höchstes Wesen als notwendiges Element in einer Andacht zu legen, zeigt, in welchem Umfang kulturell bedingte Annahmen trotz gegenteiliger Beweise aus anderen Kulturen weiterbestehen. In der Tat erkennt die Scientology natürlich ein Höchstes Wesen an, sieht diese Entität aber als etwas an, das man sich nicht leicht vorstellen kann und mit dem Kommunikation in diesem Stadium der Aufklärung des Menschen selten ist. Während Scientology ein Höchstes Wesen postuliert, wird nicht angenommen, dass die Menschen normalerweise den Anspruch einer umfassenden Kenntnis dieses Wesens erheben können. Das an sich deutet auf eine Form der Demut hin, die manchmal in Religionen fehlt, bei denen die Menschen ermutigt werden, sich anzumaßen, den Willen und die Gesinnung Gottes zu kennen.
In Anbetracht dieses begrenzten Verständnisses des Höchsten Wesens sind die Einstellungen der Abhängigkeit, die im Christentum gebräuchlich sind, zusammen mit dem Flehen, der Verehrung, dem Lob und der Fürbitte nicht mehr angemessen. Sie wären nicht weniger angemessen für Christen, welche die Beschreibungen gebilligt haben, die von modernen Theologen vorgelegt wurden und das Höchste Wesen definieren (siehe Abschnitt IV.II.). An Ehrerbietung mangelt es nicht unter Scientologen, welche die Schöpfung selbst als Objekt der Verehrung sehen; aber ohne einen Gott, der in anthropomorphen Begriffen verstanden wird, sind die Elemente und Form der Verehrung, wie man sie in der jüdisch-christlichen Tradition findet, nicht anwendbar. Wenn die Essenz der Verehrung als ihr Zweck und Ziel angesehen wird anstatt ihre äußeren Formen, ist es nicht schwer, die scientologischen Praktiken als Form der Verehrung anzusehen.