Die Vielfalt unter Religionen wird durch Vielfalt innerhalb von Religionen ergänzt, und dies sogar innerhalb einer authentisch orthodoxen Tradition, das heißt, ohne Rücksicht auf die diversen Ausprägungen von Dissens, auf die hinzuweisen wir bereits die Gelegenheit hatten. Es muss anerkannt werden, dass Widerspruchslosigkeit für eine Religion nicht unbedingt erforderlich ist und dass selbst das Christentum, das sowohl in Doktrin als auch Organisation viel systematischer strukturierte Muster als irgendeine andere Religion genossen hat, nichtsdestoweniger unpräzise Formulierungen der Doktrin, Mehrdeutigkeiten, Ungereimtheiten und sogar gänzliche Widersprüche enthält. In der Tat wird mit der traditionellen religiösen Sprache, selbst der des Christentums, nicht immer beabsichtigt, Mehrdeutigkeiten zu beseitigen, sondern man trachtet manchmal sogar danach, sie aufrechtzuerhalten. Solch eine Sprache ist nicht nur dazu gedacht, Eigenschaften zu bezeichnen, und es ist auch nicht notwendigerweise ihr Hauptanliegen. Sie hat gleichermaßen wichtige Funktionen beim Hervorrufen emotionaler Reaktionen und beim Vorschreiben von Werten und Gesinnungen. Das Kognitive, das Emotionale und das Evaluative werden untrennbar auf eine Weise miteinander vermischt, die wissenschaftlich-informierten Denkmethoden recht fremd ist. Als Konsequenz dieser Multifunktionalität fehlt es der Sprache der Religion, wenn man sie wissenschaftlich oder juristisch betrachtet, häufig an Klarheit, Definition und Eindeutigkeit. Dies mag in der Religion als normal aufgefasst werden, selbst wenn, wie im Fall des Christentums, über Jahrhunderte anhaltende intellektuelle Anstrengungen unternommen worden sind, um religiöse Glaubenslehren schlüssig zu artikulieren.